Margot Michaelis (Kunstvermittlerin) über die Kunst und die Ausstellung von Susanne Hesch in der VITA-VILLA

Susanne Hesch AUSSTELLUNG VITA-VILLA flussaufwärts

Eine weibliche Figur hält sanft ein Schiff, als wolle sie es zu Wasser lassen. Als blaue Spur deutet sich ein Fluss an. Darüber drei Brückenpfeiler. Das Bild ist auf einer topografischen Landkarte malerisch angelegt, zugleich ge-funden und er-funden. Vielleicht diente ja das Schiff dem Transport der Bilder, die nach einer imaginären Reise auf der Oker „flussaufwärts“ kommend – in der Wolfenbütteler Galerie Vitavilla gelandet sind.

Für die Ausstellung hat die Künstlerin ältere und neuere Arbeiten ausgewählt, die sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Thema „flussaufwärts“ widmen. Der Titel nimmt Bezug auf den Ort der Ausstellung: die Oker, die Gräben rund um die Galerie. Dann aber eröffnen sich weitere Bedeutungsfelder, die die Künstlerin selbst so beschreibt: „vom Fließen der Farbe und der Linie und vom Fließen der Zeit, vom Gegen-den-Strom-Schwimmen und Sich-treiben-lassen, von Booten und Brücken, vom Verbindenden und Trennenden.“ (Susanne Hesch/Pressetext)

Die Bewegung des Wassers wird zur Metapher für die Bewegungen des menschlichen Lebens und Seins. So wie es schon der griechische Philosoph Thales von Milet beschrieb: „Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser, denn Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück.“ Wasser ist das Ungewisse, es ist schwer zu fassen und immer in Bewegung, wie das Leben selbst. Es bedeutet Lust und Gefahr zugleich.

Gleich im Aufgang hängt ein kleinformatiges Aquarell: „Kleine Figur, springt“. In der Bilddiagonale sehen wir den wie einen Pfeil elegant ins Wasser Springenden – begleitet von einem roten Farbleuchten. Bloß ein Strich zeigt das Wasser an und über ihm schwebt eine dunkle Wolke, rot durchsetzt. Für mich ist das Bild Ausdruck eines Glücksmoments. Aber auch Wagnis. Ein Zauber geht davon aus, wie diese wenigen Andeutungen, die aus dem Papierweiß hervortreten, uns ein elementares Erlebnis vor Augen führen.

Auf dem Gemälde „flussaufwärts“ von 2020 treffen Imaginäres und Reales, Bestimmtes und Unbestimmtes in spannungsvoller Weise zusammen. Traumwandlerisch erscheint die Figur unter wolkenartigen Gebilden in einer unbestimmten Landschaft – vielleicht zwischen Land und Wasser? Vielleicht auf einer Brücke? – Ist es ein Nachdenken, ein Abwarten oder ein Stillhalten?

Es geht in den Arbeiten von Susanne Hesch um Urbewegungen menschlicher Gefühle, ausgedrückt durch zarte, meist stille Gesten, denen wir Erfahrungen, Erinnerungen und Empfindungen ablesen können.

Wir sehen meist weibliche Gestalten, Gesichter, Büsten, oder auch Paare. Auf das eigene Ich bezogene feine Gebärden und stille Gesten zeugen von Empfindsamkeit und Verletzbarkeit, aber auch von Lust und Selbstwahrnehmung, von zurückhaltender Sinnlichkeit. Seltener entsteht Dynamik, wie bei „Handgemenge“, einer wirbelnden Umarmung, oder dem erotischen roten Akt.

Schattengestalten“ scheinen aus dem Nichts zu kommen, die eine streckt ihre Hand in ein Gefäß, als wolle sie etwas schöpfen, eine andere erscheint wie eine rätselhafte Madonna vor zwei gläsernen Kelchen. Der sie umgebende Bildraum wirkt raumlos, in der Schwebe zwischen Nähe und Unendlichkeit. Man spürt Befindlichkeiten, die in der Stille wahrnehmbar werden. Die Figuren können ebenso bei sich sein oder ausgesetzt. Vielleicht warten sie aber auch auf das Glück, das richtige Lebensschiff zu erreichen, wenn man das Meer erreicht.

Dann das Motiv der offenen erhobenen Hände. Durch die Ausschnitthaftigkeit betonen sie den Zeige- oder Hinweischarakter zu einer Gebärde mit hoher Symbolkraft. Ein Roter Fleck in der Handfläche erinnert an das biblische „Zeig mir deine Wunde“, das Verletzung und Schmerz allgemeingültig macht. Der Titel der Handmotive: „Was man in der Hand hat“, eröffnet in seiner Mehrdeutigkeit weitere Interpretationen.

An den Wänden der Galerie wirken viele der Bilder licht und schwebend – vor allem durch die Offenheit der Form und die malerische Transparenz. Das Durchscheinende, Semitransparente und dadurch Ungewisse findet man in kleinformatigen Aquarellmalereien ebenso, wie in den großen Formaten auf Transparentpapier oder festem Bildgrund. Dabei experimentiert die Künstlerin mit unterschiedlichen Materialien. Sie stellt den Farbigkeit zurücknehmenden Haupttönen auf der Basis von Weiß und Schwarz oft ein kontrastierendes Rot oder Grüngelb entgegen. Damit schafft sie eine wohl ausgelotete Spannung, die den Bildern eine besondere Anziehungskraft verleiht.

Die poetischen Titel eröffnen einen weiteren Interpretationsraum für die eigene Betrachtung. Sie unterstützen die Deutung der Gefühlswelt, die in den Arbeiten durch gestische und mimische Andeutungen oder Setzungen entworfen wird. Dabei erscheinen die Bilder einerseits verrätselt, andererseits doch immer zugänglich durch die Sprache der Malerei, die Poesie der Motive.

Corona zum Trotz – aber mit gebührendem Abstand – lasse ich Sie jetzt mit den Bildern von Susanne Hesch allein.

Margot Michaelis

Kunstvermittlerin

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