Rede zur Ausstellungseröffnung „WAR und ist KRIEG“! Von Lino Heissenberg

Öffnungszeiten: Di. u. Do. 11.00 – 17.00 Uhr u. Sa. 11.00 – 15.00 Uhr

Eröffnungsrede WAR und ist KRIEG

Liebe Besucherinnen und Besucher,

liebe Yuliia, liebe Yvonne, liebe Sabina,

ich möchte Sie und euch alle herzlich willkommen heißen zu WAR und ist KRIEG, einer düsteren Gruppenausstellung, die durch ein vielfältiges Begleitprogramm hilft aufzuarbeiten, was die Kunstwerke andeuten, auf- und angreifen.

Ich möchte darum gleich ankündigen, dass „WAR und ist KRIEG“ keine im klassischen Sinn schöne oder erbauliche Ausstellung ist, und für Besucher:innen mit eventuellen rezenten Kriegserfahrungen oder ähnlich aufgeladenen Familiengeschichten besteht die reale Gefahr der Retraumatisierung. Zwar ist es wichtig, sich auch mit den schmerzhaften Teilen der eigenen oder gemeinsamen Geschichte auseinanderzusetzen, um sich nicht versehentlich oder absichtlich abseits der Geschehnisse als neutralen Beobachter zu gerieren, der an all dem im Grunde keinen Anteil hat und somit auch kein Anteil nehmen muss, aber dies ist nichtsdestotrotz eine Ausstellung, die sich mit menschlichem Leid, mit der Schwere historischer Schuld und Verantwortung, und dem Umgang mit diesen Themen auseinandersetzt und entsprechend für den einen oder anderen schwer verdaulich sein kann.

Die Ausstellung “WAR und ist KRIEG”, die ihr Debüt letztes Jahr unter dem Namen „Double Exposure“, betitelt nach dem Verfahren der Doppelbelichtung, aber auch sinnbildlich für die Gegenüberstellung der Arbeitsweisen der Künstlerinnen, gemacht hat, ist unterteilt in drei Bereiche: „Grüße aus Chernihiv“ von Yuliia Shkvarchuk, „War und ist Krieg“ von Yvonne Salzmann, und, neu dazugekommen, die Arbeiten von Sabina Kaluza.

Salzmann und Shkvarchuk sind Fotografinnen, und beide setzen sich mit der Geschichte ihrer jeweiligen Heimatländer auseinander, wenn auch auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

Die Fotoreihe, mit der Salzmann bei „War und ist Krieg“ das Kriegsfotoalbum ihres Großvaters mit einem Fotoalbum aus, unter anderem, ihrer eigenen Jugend überblendet, kann man als schlichte Doppelbelichtungen, als fotografische Interventionen, als Herausforderung an das fotografische Dispositiv verstehen, aber sieht man sich die beiden Filme „O Papa“ und „Das Fotoalbum“ mit dazu an, und bezieht das Tagebuch ihres Urgroßvaters mit ein, wird klar, dass das, was uns präsentiert wird, eigentlich ein Fragenkatalog ist. Salzmanns Herangehens- und Betrachtungsweise ist bewusst nicht neutral, systematisch oder mit einem schützenden kalkulierten Abstand. Die Fragen, die in den Filmen und im Katalog neben den Bildern stehen, sind dabei Versionen der Grundfragen, die sich alle Kinder stellen, wenn sie das erste Mal mit dem Konzept „Krieg“ konfrontiert werden: „Warum gibt es Kriege?“, „Hatten die Leute denn keine Wahl?“, „Warum können wir nicht in Frieden leben?“

Es sind die naiven Fragen eines Kindes an die Älteren, die diese nicht beantworten können – oder besser noch: nicht beantworten wollen, um entweder das Kind oder sich selbst vor unbequemen Wahrheiten zu schützen. Die beiden Männer, an einen erinnert Salzmann sich als schweigsam, an den anderen als laut, sprachen nicht über ihre Zeit in den Weltkriegen. Der Krieg erhielt wenig Platz in der familiären Erinnerung, sodass die junge Salzmann ihren Fragenkatalog nie ausformulieren konnte, als noch Adressaten dafür existierten. Nun, lange nach dem Tod beider, verfügt sie überhaupt erst über genug Informationen, um nach mehr bitten zu können – diese Bitte aber verhallt im Nichts.

Dies ist nicht zu sehen als selbsttherapeutische Aufarbeitung individueller Erlebnisse, sondern vielmehr zu verstehen als das Sichtbarmachen eines doch sehr typisch deutschen Musters, wo gewartet wird, bis die Tätergeneration verstorben ist, bevor man es überhaupt zulässt, anzusprechen, dass Täter in der eigenen Familie gelebt, unbehelligt und doch selbst traumatisiert mit einem am selben Tisch gesessen, einen großgezogen, das Unausgesprochene dennoch weitergegeben haben. Sogar das Stellen von im Nachhinein offensichtlichen Fragen wird durch dieses Schweigen unmöglich.

It’s not a bug, it’s a feature.

Wo Salzmann sich mit der Vergangenheit beschäftigt, liegt der Fokus von Yuliia Shkvarchuks weit weniger persönlichem Teil der Ausstellung „Grüße aus Chernihiv“ auf der Gegenwart, spezifisch: der Gegenwart ihres Heimatlandes, der Ukraine. Shkvarchuk, heute mit uns im Raum, konnte bei der Premiere dieser Arbeit letztes Jahr nicht anwesend sein, da sie, wie Millionen andere Menschen, in der Ukraine lebt und arbeitet. Shkvarchuk ist im Juni 2022 nach Chernihiv gereist, dem Ort, an dem ihre Patentante lebt, und einer der Orte, die im Februar desselben Jahres von russischen Truppen überfallen worden sind. Diese Stadt, wo sie noch steht, und wo sie zerstört wurde, hat Shkvarchuk in neutralen, stetig einen gesunden Sicherheitsabstand einhaltenden Bildern festgehalten.

Es sind Aufnahmen, die auf mehreren Ebenen gewohnte Sehkonzepte herausfordern.

Wir sehen selten blonde Menschen zwischen Trümmern. Der mentale Bilderkatalog der meisten Mitteleuropäer ist dermaßen trainiert, dass er Weiße mit zerbombten Häusern nach 1945 nur schwer vereinbaren kann.

Die scheinbare Unangreifbarkeit Europas, das lange doch nicht ganz ungefühlte Ende der Geschichte, und damit eine gewisse neokoloniale Überheblichkeit gegenüber denjenigen, die angegriffen, eingenommen, terrorisiert werden, liegt in diesen Bildern ebenso in Schutt und Asche wie die Stadt Chernihiv, die, während ich hier spreche, weiterhin das Ziel russischer Angriffe ist.

Wir sehen selten Zerstörung so unaufgeregt. Die Menschen in den Bildern gehen ihrem Leben nach, weil sie es wollen oder müssen. Und wenn ihr Leben sie an Panzerblockaden und eingestürzten Häusern vorbeiführt, dann ist es auch so abgebildet. Bei sonnigem Wetter, unter blauem Himmel, wird eingekauft, sich gesonnt, ein Blumenstrauß auf einen zerstörten Panzer gelegt.

In meinen Gesprächen mit Shkvarchuk ging öfter eine Sirene los. Ich, sicher in Deutschland, wurde unruhig und schlug vor, dass wir das Gespräch besser beenden und Shkvarchuk sich, wie angewiesen, in einen Bunker begeben sollte. Shkvarchuk antwortete: „Duh, you’re not doing it on [the] 40th day of war“. Die Alltäglichkeit des Krieges, die schon Salzmann in ihren Fotos so beunruhigt hat, hat für die dort Lebenden schnell normalisiert, was sonst klar als Ausnahmezustand festgestellt würde.

Die Ukraine im Besonderen ist seit Tschernobyl ein Ziel für Katastrophentourismus, auch genannt dark tourism, und wird es sicherlich auch nach Ende der Kriegshandlungen wieder sein. Bei der Konzeption von „Grüße aus Chernihiv“ hatten wir dies im Hinterkopf: Das Spektakuläre der Aufnahmen ist unbestreitbar und dadurch problematisch. Wie kann man das nicht ausnutzen, sich nicht einfach nur durch einstudiert schockiertes Verhalten bei der Betrachtung damit auseinandersetzen? Die Antwort ist: Wahrscheinlich geht das nicht.

Wir schauen Bilder von Unglücken an, weil wir Unglück sehen wollen, auch wenn wir nicht wünschen, dass anderen Unglück widerfährt. Aber wir können dieses unser Verhältnis zur Katastrophe sichtbar machen, reflektieren, nicht abwehren, aber genau damit arbeiten: Alle Arbeiten von Shkvarchuk sind als Postkarten und zwei als Poster gedruckt worden, und jedes einzelne Exemplar steht zum Verkauf. Und wir haben uns sehr dagegen entschieden, subtil zu sein: Mehrere Aufnahmen sind als Dypticha konzipiert, sodass ein volles „Set“ des Spektakels wenigstens zwei Käufe notwendig macht.

Die Einnahmen gehen nicht Shkvarchuk, sondern direkt an die Stadt Chernihiv.

Wer kann den Zustand einer gebrochenen Seele beschreiben?“, heißt es in einem Gedicht von Leon Stachowiak. Im Original ist es auf Polnisch verfasst und wurde im Dezember 1944 aus dem KZ Buchenwald geschmuggelt. Stachowiak richtete es an seine Familie und gibt sich in dem Gedicht zwar erschüttert angesichts der Grausamkeit, der er ausgesetzt ist, aber auch unbeugsam. Er formuliert seine Überzeugung, dass er seine Familie wiedersehen wird. Er stirbt 1945, zwei Tage nach Befreiung des Lagers.

In Zeiten der Unsicherheit klammern wir uns an die Versprechen der Fiktion. Selbst die atheistischsten unter uns erwischen sich selbst oft genug dabei, an ausgleichende Gerechtigkeit, Schicksal oder Karma zu glauben. Diese Dinge geben Hoffnung in einer Welt, in der die Mutigen selten belohnt und die Schuldigen selten zur Rechenschaft gezogen werden.

Stachowiak, als Widerstandskämpfer ein 1939 verhafteter politischer Gefangener des NS-Regimes und ab 1940 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, hat einen dieser unzähligen Lebensläufe, die enden, ohne dass die an der Person verübten Verbrechen jemals vor einem irdischen Gericht verhandelt werden konnten.

Stachowiak ist auch der Großvater der Künstlerin Sabina Kaluza.

Aber an dieser Stelle beginnt erst Kaluzas komplexes Verhältnis zu den Geschehnissen des zweiten Weltkriegs. Kaluzas Großvater mütterlicherseits, Franz Sniehotta, der nur wenige Orte von Stachowiak entfernt lebte, war von 1939 an Wehrmachtssoldat. Er überlebte den zweiten Weltkrieg in amerikanischer Kriegsgefangenschaft als einer der wenigen Überlebenden des D-Day in der Normandie.

Kaluza ist damit Nachfahrin sowohl der Täter als auch der Opfer. Die eigene Identität auszumachen zwischen historischer Schuld und generationenübergreifendem Trauma erscheint nahezu unmöglich. Jahrelang hat sich Kaluza mit der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt und nun stehen hier im Raum zwei Installationen, die das erste Mal miteinander ausgestellt werden und so symbolisch die beiden Großväter auch erstmalig öffentlich aufeinander treffen lassen. „D-Day Heeresgruppe mit Franz“ aus dem jahr 2016 präsentiert 1840 Erkennungsmarken, die Zahl der Überlebenden der 77. Infanterie-Division, eine davon mit der Nummer Sniehottas. „Jedem das Seine! Leo“, 2014 entstanden, hingegen bildet das Schicksal Stachowiaks ab, auf verrostetem Stahl sind die vier KZ-Lagernummern abgebildet, die auf seiner Haut verewigt wurden. In den Fokus nehmen kann man sie durch eine Linse der Firma Zeiss, die während des Krieges Zwangsarbeiter beschäftigt hat.

Die beiden Stelen halten fest, wovon sonst kaum etwas geblieben ist: Eine Familiengeschichte voll gebrochener Seelen, die die Beziehung von Kaluzas Eltern zueinander sabotierte und deren Widersinnigkeit sich ähnlich in vielen vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Familien wiederfindet. In jeder weiteren Generation danach werden die Geschichten weiter miteinander vermischt, und gleichzeitig rücken sie weiter in die Ferne.

Kaluza versucht, dem Gedicht des Großvaters zuarbeitend, diesen Zustand zu beschreiben.

Vielen Dank.

Lino Heissenberg

 

 

 

 

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